Die Situation im Durchgangsheim in Landschlacht hat sich gut eingespielt.
27.06.2024 10:54
Durchgangsheim läuft besser als erwartet
In Landschlacht leben 120 Asylsuchende
Es ging alles schnell: innert weniger Tage wurde aus dem ehemaligen Blindenzentrum in Landschlacht ein Durchgangsheim. Die Skepsis war gross seitens Gemeinde, Schule und Bevölkerung - heute weiss man: ohne Grund.
Landschlacht Der Duft von kulinarischen Köstlichkeiten verschiedenster Nationen und Kulturen steigt einem in die Nase, wenn man das ehemalige Blindenzentrum in Landschlaft betritt. Man wird freundlich begrüsst, etwas mit einem «hello», winken und Kopfnicken. Die Stimmung scheint ausgelassen, die Gänge sind leer, das Leben spielt sich beim schönen Wetter draussen statt. Kinder stehen an der Bushaltestelle und winken den vorbeifahrenden Autos, andere geniessen die Ruhe im Park oder stehen eben in der Küche.
Genau vor einem Jahr traf die Nachricht die Landschlachter völlig unvorbereitet: Im ehemaligen Blindenzentrum werden in den nächsten Wochen bis zu 120 Asylsuchende eintreffen, hiess es an einer Infoveranstaltung. Die Schulgemeinde zeigte sich wie auch die Gemeinde skeptisch. Der zu erwartende Mehraufwand war nicht absehbar. Neue Kinder in den Regelklassen, An- und Abmeldungen im Einwohneramt und besorgte Bürgerinnen und Bürger machten den Anfang etwas harzig. «Es war ein schneller Start. Von null auf hundert in wenigen Wochen», sagt Standortleiter der Peregrina Stiftung Abraham Keller. Doch er sei persönlich überrascht, wie gut sich die Situation eingespielt habe, so gebe es aber immer wieder Herausforderungen, wenn Kulturen aufeinander treffen, so Keller. Dies merkt man laut Ursula Knecht Käser auch im Klassenzimmer. Die Schulleiterin der Primarschule Münsterlingen und ihre Kolleginnen und Kollegen sind auch ein Jahr nach dem Ankommen der Flüchtenden immer noch gefordert. Innert kurzer Zeit mussten eine Kindergarten- und ein Einschulungsklasse eröffnet werden. Immer wieder kommen neue Flüchtlingskinder dazu. Sie müssen in die Klasse integriert und in den Lernprozess miteinbezogen werden. In den Pausen, an einzelnen klassenübergreifenden Anlässen Fächern Gestalten, Musik und und in einzelnen Turnlektionen treffen die Kinder aus aller Welt mit den Regelklassen zusammen aufeinander. Die heimischen Schülerinnen und Schüler machen es laut Ursula Knecht wirklich sehr gut, integrieren die «Gäste» so gut wie möglich. von Problemen ist ihr nichts bekannt. Unter den Flüchtlingskindern gibt es im Unterricht immer mal wieder Konflikte im sozialen Bereich. Diese werden angesprochen, Regeln eingefordert und auch die Eltern miteinbezogen. Innerhalb der Flüchtenden gebe es hingegen immer wiedermal kleinere Konflikte. Von Sprachbarrieren bis zu Handzeichen, welche innerhalb der Kulturen verschiedenen Bedeutungen haben und zu Missverständnissen führen können – das bunte Treiben in der Münsterlinger Primarschule fordert, aber bereichert auch den Alltag.
Kind im Zentrum
Den Unterricht übernehmen Lehrpersonen mit der Zusatzausbildung «Deutsch als Zweitsprache» für Zweitsprachige» (DaZ). Beim Bildungsniveau der Kinder gebe es grosse Unterschiede. So auch beim Verhalten der Eltern. Themen wie Pünktlichkeit haben oftmals einen anderen Stellenwert wie wir es uns gewohnt sind. Doch: «Ich bin begeistert, wie unsere Lehrerschaft mit der Situation umgeht. Es ist anstrengend, das lässt sich nicht schönreden, doch bei uns steht das Kind im Zentrum. Diesen Leitsatz verfolgen wir in den Regelklassen wie auch bei den ‘Gästen’.» Die Eltern bringen sich mehr oder weniger ein, sind sich Knecht und Keller einig. Das Erscheinen eines Vaters an der Instrumentenpräsentation 1. – 4. Klasse hat Ursula Knecht dann aber gefreut. überrascht. Die hohe Präsenz an einem Elternanlass hat Ursula Knecht dann aber überrascht. Der Abschied der Kinder, welche in eine andere Gemeinde versetzt werden, werde in den Klassen thematisiert. «Respektive nehmen sich die Lehrpersonen die Zeit, die Schülerinnen und Schüler mit Ritualen zu verabschieden.» Für die geflüchteten Kinder sei dies nicht immer einfach, so hatten sie in Münsterlingen eine erste Heimat in der Schweiz gefunden und müssen nun weiterziehen. Die Kinder bleiben immerhin bis zu einem halben Jahr in den Klassen – für Schülerinnen und Schüler eine doch recht lange Zeit. Umso schöner, dass die Lehrpersonen sensibel mit der Verabschiedung umgehen.
Nulltolleranz-Regelung
Auch Abraham Keller lobt sein Team. So sei es vor allem für die weiblichen Mitarbeitenden nicht immer einfach. Doch bei der Behandlung der Frauen es eine Nulltoleranz Regelung. «Uns ist es egal, woher die Bewohner stammen. Wir vertreten in der Peregrina Stiftung Schweizer Werte, welche eingehalten werden müssen.» So müsse auch darauf geachtet werden, dass: «es nicht plötzlich zwischen den Asylsuchenden kippt.» Er spricht von einem «Culture crash», also das Aufeinandertreffen von verschiedenen Kulturen, welche immer eine gewisse Dynamik auslösen. Hier brauche es seitens der Betreuenden viel Fingerspitzengefühl und die Kunst «die Stimmung auszubalancieren.» Zu Gute der meist entspannten Atmosphäre die «luxuriösen» Wohnsituation. Die Zweier- und Viererzimmer verfügen über ein eigenes Bad mit Dusche, dazu gibt es ausreichend Platz für Gemeinschaftsräume und die Küche. «Man kann sich zurückziehen, das sorgt für Ruhe. Eine Dusche mit zwanzig anderen zu teilen, führt automatisch zu Konflikten.» In Sachen Ordnung und Hygiene gehen die Meinungen weit auseinander. Vor allem die «jungen Männer» hätten eine andere Einstellung dazu. Aber: «Es gibt immer wieder sehr verantwortungsvolle Bewohner, welche die Arbeitsaufteilung regeln.» Respektive gebe es einen Ämtliplan, auf welchem die Arbeiten klar definiert sind. Küche putzen müsse zum Beispiel jede und jeder mal. Bei weiteren Aufgaben wie die Küchen- oder Abfallaufsicht können sich die Bewohner einen Batzen verdienen – beliebte Job bei einem nicht ganz so abwechslungsreichen Alltag. Was Keller besonders freut, ist, «dass nach drei Monaten ein Nachbar zu uns kam und fragte, wann die Asylsuchenden nun eintreffen. Damals lebten schon hundert Bewohner im Durchgangsheim.» Da es in Landschlacht keinen eigentlichen Dorfkern gebe, sei auch das Problem vom «Rumhängen» kein Thema. «Die Bewohner laufen zum Bahnhof, um mit dem Zug an Termine zu fahren. Ansonsten bewegen sie sich auf dem grossen Gelände.»
Dies kann auch Gemeindepräsident Hans-Jörg Saner bestätigen. Von den Bewohnerinnen und Bewohnern bekomme man nicht viel mit im Dorf. «Die 120 Personen werden von der Bevölkerung kaum wahrgenommen.» Beschwerden gab es laut Saner nur zum Beginn des Betriebs und dies aufgrund von nachvollziehbaren Ängsten gegenüber dem Unbekannten. «Uns sind keine nennenswerten Vorfälle bekannt und wir sind zuversichtlich, dass dies auch so bleibt.»
Von Desirée Müller