25.06.2021 12:47
Der Thurgau outet sich
«Im Thurgau wird Homo-, Bi- und Transsexualität tabuisiert», sagt Eva Büchi, Lehrerin an der Kantonsschule Kreuzlingen und Initiantin von QueerTG. Eine Gruppierung, die sich vor einem Monat zusammenschloss um der LGBTIQ+Community im Thurgau ein Gesicht zu geben.
Kreuzlingen Ziel von QueerTG ist, eine Anlaufstelle für Fachstellen, Schulen, Politiker*innen und Medien zu sein. «Statt über uns zu reden, redet mit uns», regt Eva Büchi an. Der Thurgau soll ein lebenswerter Kanton für Menschen aller sexuellen Orientierungen und Geschlechtsidentitäten sein.» Mitinitiant Adrian Knecht fügt an, dass es wenig queeres Leben im Kanton gebe, viele nach Zürich oder St.Gallen abwandern würden. Auch werde Homo-, Bi- und Transsexualität im Thurgau tabuisiert. Durch Vernetzungs- und Austauschangebote wollen die beiden dem entgegenwirken. Bei der Gründungsversammlung anfangs Juni legten sie die Basis für eine lebendige Bewegung, der mittlerweile 50 Personen angehören. Zwar waren am Dienstagabend an der Medienkonferenz nicht alle anwesend, aber es waren viele, die mutig ihr Gesicht zeigten, ihre Geschichte erzählten und ihre Wünsche und Forderungen an die Politik und an die Gesellschaft richteten. Mutig, weil LGBTIQ+Anliegen gerade im Thurgau gerne unter den Teppich gekehrt werden. Dies bestätigt Adrian Knecht: «Ende 2020 wohnten im Thurgau 282'080 Menschen. Die Forschung zeigt, dass rund 10 Prozent der Menschen sich nicht als heterosexuell identifizieren. Also leben hier ungefähr 28000 queere Menschen.» Die meisten von ihnen seien nicht als solche sichtbar. Denn ein Coming-out im ländlichen, konservativ geprägten Thurgau sei nicht immer einfach.
«Wir gehören genauso in den Thurgau wie die Obstbauern»
Die Vielfalt der 50 Mitglieder von QueerTG ist gross, sowohl in Bezug auf die Identitäten und Orientierungen, wie auch auf Alter, Beruf und das politische Spektrum. Selma Wagenbach aus Altnau ist 19 Jahre alt «steht auf Frauen» wie sie sagt und findet weitere, klare Worte an diesem Abend: «Die Menschen im Thurgau sollen endlich den Mut haben, sich von ihren konservativen, eingerosteten Vorstellungen von Sex, Beziehungen und Familie zu verabschieden und sich der Realität zu stellen.» Auch der Thurgau sei vielfältig und bunt. «Denn, ob ihr es glaubt oder nicht, wir gehören genauso hierher in den Thurgau wie die Obstbauern, die traditionellen, alteingesessenen Familien und die Freikirchler.» Trans Mann Yves aus Sirnach wünscht sich, dass alle begreifen, dass Trans Menschen ihr Geschlecht nicht aussuchen oder «wechseln», sondern mit ihrem gefühlten, tatsächlichen Geschlecht geboren wurden «und sich lediglich die Natur in der Verpackung geirrt hat.»
«Ehe für alle»
Mit der Abstimmung zur «Ehe für alle» im September steht ein wichtiges politisches Thema auf der Agenda von QueerTG. Die «Ehe für alle» sei ein Meilenstein für queere Menschen in der Schweiz, erklären die Initianten. «Auch wenn nicht alle heiraten möchten, die Beseitigung einer rechtlichen Diskriminierung wirkt sich positiv auf ihr Leben aus», weiss Adrian Knecht. So zeige die Erfahrung aus anderen Ländern, dass nach Annahme der Ehe für alle die Akzeptanz in der Gesellschaft zunahm. Auch im Thurgau führe die rechtliche und zwischenmenschliche Diskriminierung zu erhöhter Suizidalität, Depressionen und Angstzuständen. Eva Büchi sagt: «QueerTG engagiert sich deshalb im Abstimmungskampf zur «Ehe für alle» und die damit verbundene Signalwirkung für queere Menschen.» Bereits haben von SP bis SVP über 20 Persönlichkeiten aus der Thurgauer Politlandschaft ihre Unterstützung zugesichert. «Darunter sind neben zahlreichen Mitgliedern des Grossen Rates auch Nationalrät*innen und Stadtpräsident*innen», berichtet Eva Büchi, die sich freuen würde, wenn sich das Abstimmungsesultat im Thurgau dieses Mal besser zeigen würde als in der Vergangenheit. Die Abstimmungskampagne startet am 27. Juni mit verschiedenen Events. Im August sind Demonstrationen und Podien geplant. Mehr dazu auf www.queertg.ch.
Aufklärung an Schulen
Doch QueerTG hat noch weitere politische Anliegen. «Lehrpersonen sollen in ihrer Ausbildung an der PH Thurgau auf queere Lebensrealitäten sensibilisiert werden, um auf einen adäquaten Umgang mit queeren Schüler*innen vorbereitet zu sein», findet Eva Büchi. Weiter brauche es eine Polizeistatistik, die Hate Speech und Angriffe gegen die LGBTIQ+Community erfasse. Und sie hat noch eine Forderung: «Im Thurgau haben Freikirchen grossen Einfluss. Deshalb braucht es ein Verbot von Konversionstherapien.» Solche Praktiken seien gefährlich für die Identitätsentwicklung junger Menschen und können traumatisierende Wirkungen haben.»
Von Angelina Rabener