28.06.2021 08:46
Die Erlösung der Gefühle
Humor vom Feinsten, für sehr Jung bis sehr Alt, dargeboten vom Theater Sgaramusch
In der Mehrzweckhalle Ermatingen fanden am Freitag, den 25. Juni, für alle Schülerinnen und Schüler von Kindergarten und Primarschule gestaffelt drei Vorstellungen des Theaters Sgaramusch mit dem hervorragend dargebotenen Stück «Tätärätätäää» statt.
Ermatingen Vielleicht wird «endlich» ja zum Wort des Jahres 2021 gekürt. Wie so viele andere Anlässe konnte endlich die lange schon geplante Aufführung des Theaters Sgaramusch in Ermatingen stattfinden. Entsprechend den geltenden Schutzkonzepten konnten alle Schülerinnen und Schüler des Kindergartens und der Primarschule Ermatingen gestaffelt in drei Gruppen die Vorstellung in der Mehrzweckhalle besuchen.
Unter «Tätärätätäää» kann man sich wenig vorstellen. Umso mehr war die Spannung auf das, was einen erwartete.
Das Thema Clown und Zirkus waren denn schon bald anhand der Kulissen ersichtlich.
Eigentlich lässt sich schwer beschreiben, in was für ein Feuerwerk von Geschehnissen die Zuschauenden dann gerieten. Die beiden Akteure Nora Vonder Mühll und Stefan Colombo waren die Clowns in der Manege, auf der Leinwand war mittels Videoprojektion perfekt getimt ein Musiker mit musikalischer Untermalung und nonverbalen Kommentaren zum Geschehen dabei.
Es ging um einzelne Nummern, die sie zur Aufführung bringen sollten und begann damit, dass sie Lampenfieber hatten. Und die Hand sich einfach weigerte, das Publikum zu begrüssen, sich versteckte, zurückzuckte, einfach nicht gehorchen wollte. Und so war das Feuerwerk eröffnet, das die ganze sehr breite Skala menschlicher Gefühle abdeckte und sich in einer Kaskade von Szenen hoher Dichte und Komik über das Publikum ergoss, dass man vor Lachen und Staunen atemlos wurde und trotzdem nicht wollte, dass es aufhört. Zentrale Probleme und Themen von Kindern, von Menschen wurden dargestellt und der Umgang damit vorgelebt. Wie beglückend zum Beispiel die Versöhnung nach einem Streit sein kann, wie man merkt, wie schrecklich gern man den Menschen hat, den man vor ein paar Minuten noch ins Pfefferland gewünscht hat und ihn einfach nur umarmen und küssen will. Oder wie schön es ist, ausgelassen und überbordend zu sein (das Zirkuspferd machte zuerst brav seine Vorführstücke, um dann übermütig alles umzustossen und unbändig zu wiehern und auszuscheren), wie anstrengend und unangenehm es für die Erziehende ist, in Schach zu halten und zu bändigen; wie lange es braucht, bis sich das Rösschen in der Enge des Strafraums beruhigt, um sich dann etwas verschämt, um Zuneigung heischend, wieder anzunähern. Da werden Kinder zutiefst angesprochen und fühlen sich verstanden. Lachen schallend, aber verstehen auch viel. Gerade weil es in Lachen verpackt ist. Gerade weil es nicht gesagt ist. Die beiden Schauspieler agieren so dicht am seelischen Geschehen von Kindern. Das kann man als Erwachsener nur bewundern und dankbar wahrnehmen, wie die Magie des Theaters tief ergreift und nachhaltig Lösungen bietet: Trauer, Scham, Streit, Übermut, Wagemut, Bestrafungen, Angst, das Bekannte im Unheimlichen erfahren, Lampenfieber, Hemmungen, Freundschaft, Verlegenheit, Aufräumen müssen, Ausrasten, Versöhnung, Sehnsüchte, Annäherung an Fremdes, Langeweile, Pflichten, eigener Wille, Kreativität, Überdruss, Neues wagen, Tierliebe, Erwartungen der Erwachsenen, Poesie des Moments, Verträumt sein, Nachäffen, Cleverness.
Auch mit dem Publikum wurde interagiert: es wurde vom wild gewordenen Zirkusrösschen angewiehert, es wurde zum ordentlichen Hinsitzen aufgefordert und gefragt, ob es denn UNBEDINGT die Nummer mit dem Feuerschlucker sehen wolle und nicht doch lieber….. es war ein geschicktes initiiertes Mäandern zwischen Realität und Fiktion, zwischen sich widersprechenden und doch stimmenden Gefühlen.
Das fulminante Spektakel ging von Szene über Pause zu Szene über und man staunte über die Ideen. Je einfacher die Requisite, desto magischer die Wirkung, dank des grandiosen schauspielerischen Könnens. So wurde aus einer Decke ein lebendiger, liebenswerter Hund und in der Pause erholten sich die Akteure mit Schwämmen zum Abputzen, die herunterfielen und mit Zahnbürsten für nach dem Znüni. Aus dem Alltag Gegriffenes wurde Slapstick artig so urkomisch dargeboten, so genial gespielt, dass das Publikum, sehr Jung bis sehr Erwachsen, sich immer wieder – und interessanterweise je nach Alter an anderen Stellen - kaum halten konnte vor Lachen. Und das Feuerwerk endete passgenau mit einem Feuerbrand.
Bei Stücken für Kinder ist es ja oft so, dass Erwachsene sich an der Freude der Kinder freuen. Aber hier kamen auch sie vollends auf ihre Rechnung, haben herzhaft lachen können. Und so manch ein glucksendes Kinderlachen, ein Aufsetzen, um besser zu sehen, verrieten, dass die Schülerinnen und Schüler hochaufmerksam dabei waren und dass im Innern bei jedem neben dem befreienden Lachen viel passierte. Kinder werden in ihren Problemen nicht alleingelassen. Hier wird ihre Welt ernst genommen, gelebt und befreit so das Kind. Die Antworten schreiben sich in die Herzen der Kinder.
Gerade auch Lehrpersonen wissen, wie eminent wichtig es für Kinder ist, in ihrer Gefühlswelt wahrgenommen und gespiegelt zu werden. Wenn es in dieser Qualität geschieht, dann hilft es ihnen, den Alltag anders zu meistern, stärker, klüger, autarker, es macht sie innerlich frei und glücklich: macht sie resilient gegen die Nöte des Alltags.
Das höchste Kompliment an das Duo/Trio zollen aber die Reaktionen von Zuschauenden: Nach der Aufführung erzählten die Schülerinnen und Schüler mit leuchtenden Augen immer wieder Einzelheiten aus dem Stück und konnten gleich noch einmal darüber lachen, Sechstklässler fingen an, Hunde zu fingieren und zu kläffen. Gefragt, was sie am tollsten fanden, kam ein lautes: «Alles!» Diese in einer raumgreifenden Medienwelt aufwachsenden Schülerinnen und Schüler waren einfach begeistert. Ein Schüler sagte: «Manno, i wöt da no mal luege!» Befreiendes Erleben macht süchtig nach mehr.
red