14.11.2024 07:39
Ein Zuhause auf Zeit
Besuch der Notherberge in Weinfelden
Die Kirchliche Notherberge Thurgau ist die einzige Institution ihrer Art im Kanton. Seit vier Jahren sind die fünf Zimmer in Weinfelden meist ausgebucht. Ein Besuch des Hauses mit seiner Leiterin Linda Roth.
Weinfelden Das alten Treppenhaus ist stimmig mit Nippes dekoriert. Das Ledersofa im Gemeinschaftsraum bequem und die Küchen tip top sauber. Die Kirchliche Notherberge Thurgau hat zwar keinen Hotelcharme, doch kann man sich hier durchaus wohl fühlen. Zumindest für 89 Tage. So lange dürfen die Bewohnerinnen und Bewohner maximal bleiben. 15 Franken kostet die Einzelübernachtung respektive 520 Franken im Monat. Die Räume sind einfach eingerichtet, Bett, Schrank oder eine Garderobenstange, Schreibtisch, je nach Platz. Manchmal reisen die Personen mit viel Gepäck an, ihr halbes Hab und Gut, auf die Schnelle in Taschen und Koffer gestopft. Denn selten sind die Aufenthalte hier geplant. Einige der Gäste werden von der Polizei hingebracht, die meisten «checken» aber aus freien Stücken ein.
Nicht alle können aufgenommen werden
Linda Roth führt mich durch die Herberge. Die meisten Zimmer sind besetzt, einige wenige werden für Notfälle freigehalten. Winzige Räume, einige ohne Heizung, doch für eine Nacht ausreichend. Alles besser als Draussen zu übernachten. Linda arbeitet seit vier Jahren in der Herberge und hat schon so manches erlebt. Nebst fordernden, gibt es auch überraschend schöne Momente. «Vor ein paar Tagen umarmte mich eine Frau nach ihrem Aufenthalt und dankte mir herzlich», sagt die gelernte Bürokauffrau und lächelt. Nicht alle Abschiede verlaufen so. Manchmal liegen zwischen Ankunft und Abreise nur ein paar Stunden. Denn nicht alle dürfen bleiben. «Da die Notherberge nicht immer betreut ist, muss die Sicherheit der Bewohnerinnen und Bewohner gewährleistet sein», so Linda Roth. Menschen mit einem offensichtlichen Drogen- oder Alkoholproblem sowie Aggressivitätspotenzial müssen abgewiesen werden. Diese Regelung gab es nicht von Beginn an, diverse Erfahrungen zwangen die Verantwortlichen zu dem Schritt. Wie sie innert Kürze erkennt, ob eine Person für Konflikte im Haus sorgen könnte, frage ich. «Die Situation gibt es einem vor, was und vor allem wie man Fragen stellt.» Auch ohne Ausbildung im Sozialen Bereich hat Linda in den Jahren eine beeindruckende Menschenkenntnis erlangt. Der Grat zwischen den Rollen als rettendem Engel in der Not und derjenigen, welche Hilfesuchende abweist, ist sehr schmal. Kein Job für jedermann. Sorgen hat jede und jeder, der Klingelt oder anruft. Die Gründe sind ganz verschieden. Manchmal ist es ein Streit, welcher eskaliert und ein Partner Mitten in der Nacht einen Ort zum Schlafen braucht. Viel öfters spitzt die Situation sich aber langsam zu. Betreibungen, Lohnpfändungen und schlussendlich der Rauswurf aus den eigenen vier Wänden. Ein Hotel ist zu teuer, eine Wohnung kann auf die Schnelle nicht gefunden werden. Auch ein Neuanfang aus dem Gefängnis oder einer Psychiatrischen Einrichtung kann schwer sein. Die Wohnungssuche im Besonderen. «Wir bieten den Menschen eine Homebase. Ein Ort, um seine Sachen zu regeln und sich neu zu orientieren.» Im Gespräch kristallisiert sich schnell heraus, wo der Schuh drückt. Linda Roth und ihre Kollegin arbeiten mit diversen Stellen zusammen, vermitteln. So auch mit der Polizei. «Wir arbeiten regelmässig zusammen und sind immer wieder beeindruckt vom Umgang der Mitarbeitenden mit den Bewohnern», so Linda Roth. Kein einziges Mal seien despektierliche Worte gefallen. Die Polizistinnen und Polizisten gingen stets mit viel Feingefühl vor. So konnten bisher auch schlimmere Ausbrüche vermieden werden. Eine gewisse Anspannung verfolgt Linda Roth aber auf jedem Schritt. Ihr Job ist nicht berechenbar. 100 Stellenprozent teilen sich Linda, ihre Kollegin und ihr Mann, welcher in einem kleinen Pensum Reparaturarbeiten ausführt und für die Entsorgung zuständig ist. 100 Prozent bei einem 24/7 Job. Jedes zweite Wochenende hat eine der Frauen Pikettdienst.
Bedarf ist gross
Alleine in diesem Jahr zählt die Notschlafstelle über 1500 Übernachtungen. Eine Zahl, die nachdenklich macht. «Wir sind die einzige Notherberge im Kanton Thurgau, die Zimmer sind meistens belegt, es braucht uns mehr denn je.»
Finanziert wird die Notherberge hauptsächlich durch Spenden und Beiträge der Politischen Gemeinden. Somit ist das Angebot auf Unterstützerinnen und Unterstützer angewiesen, um Menschen in Not weiterhin eine Bleibe zu bieten. Statt Wein und Parfüm könnte man dieses Jahr das Projekt mit einem Beitrag unterstützen.
Von Desirée Müller
Kirchliche Notherberge Thurgau, 8570 Weinfelden
CH70 0900 0000 1562 8072 7
Postfinance AG, 3030 Bern