Michele Schiavone †
Wohl zum ersten Mal fuhr am letzten Donnerstag zu einer Trauerfeier in Kreuzlingen ein Diplomatenwagen vor. Um sich vom am 30. März verstorbenen Michele Schiavone zu verabschieden, versammelten sich gut vierhundert Menschen in der Basilika St. Ulrich. Neben der Familie, seinen vielen Freunden und Weggefährten reisten auch ein Vertreter des Aussenministers aus Rom, der italienische Botschafter aus Bern, sowie Vertreter des Parlaments und Auslanditaliener-Organisationen aus Italien und anderen europäischen Ländern an. Im Internet kondolierte der italienische Aussenminister Antonio Tajani: «Wir erinnern uns mit Dankbarkeit an sein ständiges Engagement zugunsten der Landsleute in der ganzen Welt».
34 Jahre Stadtpräsidium sassen nebeneinander und wischten sich wie viele der Trauernden Tränen aus den Augen, als sich Sohn Yanek mit bewegenden Worten von seinem Vater verabschiedete. Mit Michele hatten sie viele Anlässe bestritten, so die Gründung und Jubiläen des «Centro Italiano» sowie der «Gemellaggio», der Städtepartnerschaft mit Cisternino, die Einweihung der «Piazzetta Cisternino» in Kreuzlingen und der «Villetta Kreuzlingen» in Cisternino. Michele stand nie im Rampenlicht, aber er sorgte dafür, dass diese Projekte als Zeichen der Verbundenheit zwischen den einheimischen Schweizern und den zugezogenen Italienern realisiert wurden. Wenn bei solchen Gelegenheiten auch er das Wort ergriff, endete die Rede oft auch bei ihm mit grossen Emotionen. Das Gefühl der Grösse und Bedeutung seiner Mission und des Einsatzes für seine Landsleute in der Diaspora bewegten ihn - jedoch aus Demut, nicht Stolz.
Michele Schiavone war mit 18 Jahren seinen schon früher ausgewanderten Eltern von Fasano nach Kreuzlingen gefolgt. Er besuchte in St. Gallen die Dolmetscherschule und stellte seine Fähigkeit den Landsleuten wie auch den der italienischen Sprache Unkundigen zur Verfügung. Er engagierte sich gewerkschaftlich und setzte sich im Partito Democratico für soziale Themen ein. Hauptberuflich war er bei einer Grossbank tätig. Er wurde zum Politiker, war zehn Jahre der Schweizer Vertreter im Weltrat der Auslanditaliener (CGIE) und seit 2016 gar dessen Generalsekretär. Vom italienischen Staat zum «Cavaliere» ernannt, machte er grosse internationale Politik, aber gleichzeitig auch konkrete, praktische Arbeit zuhause in Tägerwilen und in Kreuzlingen. So lancierte und betreute er zusammen mit Ehefrau Angela, die ihn in allem unterstützte, die regelmässig erscheinende «Pagina Italiana» im Kreuzlinger «Volksfreund» und später in der «Thurgauer Zeitung». Mit Angela begleitete er Gruppenreisen in seine alte Heimat Apulien und half mit, dass der Kontakt mit der Kreuzlinger Partnerstadt Cisternino erhalten blieb.
Wollten wir Behördenvertreter Michele danken und seine Arbeit würdigen, lächelte er meist verlegen und trat noch einen Schritt weiter in den Hintergrund. Es ging ihm nie um sich, sondern nur um seine Aufgabe: sich um die Italiener fernab ihrer Heimat, die sie aus wirtschaftlichen Gründen verlassen hatten, zu kümmern und sie bei ihrer Eingliederung zu unterstützen, ohne dass sie ihre Herkunft vergassen und ihre Kultur aufgaben. Dies gelang in und um Kreuzlingen in besonderem Masse. Hier machte die Integration der italienischen Einwanderer nicht bei einem passiven Nebeneinander Halt, sondern zeigte sich in einer aktiven Annäherung und zunehmenden Durchdringung beider Gruppen. An dieser positiven gesellschaftlichen Entwicklung hatte Michele gearbeitet und seinen bleibenden Anteil. Leidenschaft und Hingabe, aber auch Bescheidenheit und Freundlichkeit zeichneten Michele Schiavone aus. Er hatte die Gabe, Menschen und verschiedene Positionen zusammenzuführen und Auswege zu finden. Er gab nie auf und verfolgte seine Ziele beharrlich, ja aufopferungsvoll. Vieles hatte er erreicht, bis ihn eine Krankheit mahnte, sich körperlich nicht zu überfordern und kürzer zu treten. Michele setzte jedoch seine Überzeugung und das Interesse der Menschen, für die er sich einsetzte, über das eigene Wohl. Am Ende verlor der Vierundsechzigjährige den Kampf gegen die Krankheit. Seine Verdienste um die Verbesserung des Loses der Mitmenschen, besonders der Auslanditaliener, bleiben bestehen und mit ihnen das Andenken an einen guten und im besten Sinne sozialen Menschen mit einem grossen Herzen, das jetzt aufgehört hat zu schlagen.⋌Andreas Netzle